16. Exkursion des Herner Netzes e.V. nach Herne - Süd
am Sonntag, dem 17. September 2006 - „Eisen, Stein und Jugendstil“

Klaus FavreauObwohl noch einige Wochen vergehen, bis die 16. Exkursion des Herner Netzes nach Herne – Süd stattfindet, soll den Teilnehmern schon einiges über die Eisenindustrie in Herne und die Flottmann–Hallen mitgeteilt werden, um ihre Neugier zu wecken.
Nach dem Abteufen des ersten Schachtes in Herne im Jahr 1856 bot die Stadt neben Kohle, Hüttenkoks und Hüttengas weitere günstige Bedingungen zur Ansiedlung der Eisenindustrie. Bereits im Jahr 1847 war auf der Köln-Mindener Bahnstrecke in Herne eine Station eingerichtet worden, so dass die Erzeugnisse der Zechen schnell verschickt werden und die benötigten Rohstoffe (Erze) herangeschafft werden konnten. Das machte die Stadt für die Errichtung bergbaunaher Eisenindustrie und ihrer Produkte interessant. Gebraucht wurden Kohlengewinnungs- und Abförderungsmaschinen, wie Bohrhämmer, Drehbohrmaschinen, Abbauhämmer, Ketten-, Stangen- und Säulenschrämm-Maschinen, Luttengebläse (Lutten = ringförmige Leitungen zur Versorgung abgelegener Schächte mit Frischluft), Förderhaspeln, Schüttelrutschen, Kompressoren, Förderwagen und Kohleöfen. Als ältestes Unternehmen entstand im Jahr 1869 die Firma Viktor Halstrik für den Bau von Gruben- und Kokswagen. Es folgte zu Beginn der 70er Jahre die Dampfkesselfabrik Ewald Berninghaus, die Hochleistungskessel für Hochöfen- und Koksgasfeuerung herstellte, aber auch Schiffskessel und Lokomotivkessel. 1912 errichtete die Firma in der Nähe von Shamrock I/II eine neue Fabrikanlage mit Bahnanschluss. Im Jahr 1871 wurde zeitgleich mit Berninghaus die Drahtseilfabrik Eduard Gessmann für die Fabrikation von Draht- und Hanfseilen gegründet. Die Maschinenfabrik Baum AG entstand 1883 und war spezialisiert auf die Herstellung von vollständigen Aufbereitungsanlagen, Einrichtungen für Brikettfabriken, Ziegeleien, Förderanlagen sowie von gelochten und profilierten Blechen. Im Jahr 1885 wurde die Maschinenfabrik A. Beien GmbH gegründet. Sie produzierte Bergwerksmaschinen aller Art, wie Förderhaspel-, Seil- und Kettenbahnen. Zum Herstellungsprogramm gehörten auch Dampfkabel, Förderkörbe, Seilscheiben, Kerb- und Schrämm-Maschinen.
Als die Herner Muttern- und Schraubenfabrik um 1900 in Konkurs ging, übernahm die Firma Dorn im selben Jahr das Unternehmen und stellte weiter mit Erfolg Schrauben, Muttern und Nieten aller Art her. Das Röhrenwerk Kuntze AG Herne entstand um die Jahrhundertwende und war eine Zweigfabrik der im Jahr 1869 gegründeten Firma G. Kuntze in Göppingen. Es stellte schmiedeeiserne Röhren und Röhren aus Siemens-Martin-Stahlblech her, daneben auch Kohlerutschen. Im Jahr 1912 wurde die Firma Axmann und Compagnie GmbH gegründet. Zu ihrem Programm gehörten Bergwerksmaschinen, Zahnräder und Getriebe. Angeschlossen war eine Gießerei.
Der Star unter den Eisenbetrieben war die bereits im Jahr 1872 in Bochum gegründete Flottmann AG, welche 1902 nach Herne – Süd zog. Gebaut wurde für diesen Zweck eine fünfschiffige Hallenanlage im Jugendstil. Die Werksräume bestanden aus einer Gruppe von 5 nebeneinander liegenden Hallen mit einer höheren Halle in der Mitte. Die Wände waren aus Backstein, dekoriert mit Haustein und Putzverzierungen. Die Schauseite zur Flottmannstraße wurde symmetrisch gestaltet, in der Mitte die vorgewölbte Front der Ausstellungshalle. Zu beiden Seiten sah man die glatten Stirnen der beiden Versandhallen links und der beiden Hallen für Schmiede und Schlosserei rechts von der Ausstellungshalle. Diese Hallenfront hatte nur einen Vergleich, nämlich den Entwurf des Architekten Oskar Kaufmann für die Neue Volksbühne in Berlin aus den Jahren 1911 bis 1914.
Im Jahr 1904 erfanden Ingenieure in den Flottmann-Hallen den Gesteinsbohrhammer mit Kugelbesteuerung. Bis 1920 wurden nach diesem Prinzip schon 300 000 Bohrhämmer hergestellt. Das weitere Angebot von Flottmann bestand in Druckluftmaschinen, Drehbohrmaschinen, Schüttelrutschen, Verladeeinrichtungen, elektrischen Grubenbeleuchtungen, Kompressoren, Dampfmaschinen und Vakuumpumpen.

Nach dem Niedergang der Zechen ging auch die Zeit der bergbaunahen Eisenindustrie in Herne zu Ende. Die Flottmann-Hallen wurden in den Jahren 1985/86 vom Hochbauamt der Stadt umgewidmet und in die Hallen, wo einst weit über 1000 Facharbeiter und Ingenieure tätig waren, zogen Kunst und Kultur ein. In der Begegnungsstätte finden heute Ausstellungen statt, ebenso Konzerte, Theater-, Sport- und Tanzveranstaltungen. Die Flottmann-Kneipe bietet den Rahmen für geselliges Beisammensein.

Wolfgang Viehweger
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